David Nesselhauf ist Visionär. Und dass Visionen nicht nur politischen Reden, Kinderbüchern oder Hollywood-Blockbustern zugrunde liegen, beweist der Hamburger Radiologe (!) mit seinem kürzlich erschienenen Album „Afrokraut II – The Lowbrow Manifesto“. Inspiriert von Fake-Welten à la Sun Ra, Science-Fiction-Geschichten und der Weite des Weltraums ist eine Platte entstanden, bei der das „bewusstseinserweiternde Happening“ im Vordergrund stehen soll.
Und genau das will der Mediziner, der das Handwerk eines Bassisten und Produzenten ebenso beherrscht, durch seine einmalige Mischung aus Afrobeat und Krautrock erzielen. Afrikanische Drum-Grooves treffen auf improvisierte, experimentelle Rockklänge, trashige 70er-Synthie-Melodien auf die Freiheit des Jazz und funky Beats. Klingt aber weniger nach bekifftem Gedröne aus feuchten Bandkellern, sondern nach durchdachter, tanzbarer Musik, die den perfekten Soundtrack zur musikalischen Reise ins Ungewisse bietet.
Die Bezeichnung „Afrokraut“ passt dabei wie die Faust auf‘s Auge: ein Begriff, mit dem ursprünglich das CAN-Album „Tago Mago“ betitelt wurde – denn bereits in den 1970er-Jahren schlug die Band damit eine Brücke zwischen Afrobeat und westdeutschem Krautrock.
Der Reiz, das musikalische Erbe des Krautrocks auf eigene Weise fortzuführen, treibt Nesselhauf an. Als Norddeutscher fehle es ihm an musikalischen Idealen, was beispielsweise Jazz, Funk und Soul für die schwarze Community in den USA sind. Beim Krautrock hingegen „fühle man sich ermuntert und berechtigt“, einen Teil dieser westdeutschen Kultur weiterzudenken und zu interpretieren. Auch Hamburg hat in der Geschichte des Krautrocks eine nicht unwesentliche Rolle gespielt. Doch was verbindet diese Musik mit dem Geist des Jazz?
Es ist die Momentaufnahme, in der eine Aufnahme entsteht. Kein Moment ist wie der andere und genau so ist die Musik. Es dokumentiert den Zustand, in dem das Album aufgenommen wurde. Zu einem anderen Zeitpunkt eingespielt, klänge die Musik wohl wahrscheinlich anders. Aufgenommen wurde die Platte, wie in alten HipHop-Zeiten, in seinem Drei-Quadratmeter-Eimsbütteler Heimstudio. „Trashig, Lo-Fi & analog wie in den 80ern“, sagt Nesselhauf.
Mit dabei: Technik ohne Glanz, zu viele Kabel, knisternde Abhörmonitore, antiquierte Bandmaschine und ganz ohne digitales Hi-Fi. So was kennt man in Hamburg. Schon der eine oder andere Kollege hat nord-westlich der Außenalster (Eimsbush-Style-Liga) so mit seiner Musik für ordentlich Bambule gesorgt.
Was einst aus Mangel an besserer Aufnahmetechnik so klang, wird heute so produziert, weil es cool ist. Und genau diesem Mangel eifert man nun nach. Das Album ist ein Produkt unseres Zeitgeistes, ein Hin- und Herspringen zwischen Alt und Neu, Vinyl und digital, Kassette und CD. Erschienen ist das Album beim Hamburger Funk-Label Legère Recordings.
Eingespielt hat Nesselhauf, der als Bassist bei Diazpora kein Unbekannter in der Hamburger Funkszene ist, das Album komplett in Eigenregie. Nur beim Schlagzeug griff er auf seinen langjährigen Bandkollegen Lukas Kochbeck zurück, featured Diazpora-Sänger Axel Feige und Soulamadou sowie den Keyboarder Chris Härtel.
Wenn Musiker sich zu Hause einschließen, um ein Album zu produzieren, den Großteil der Instrumente selbst aufnehmen, dann birgt das die Gefahr etwas zu kreieren, was man selbst gerne hört, aber da draußen eigentlich niemanden interessiert. Afrokraut gelingt jedoch genau das Gegenteil: entstanden ist ein „Hippie-Album“, das einen als Vorstufe zum Yoga aus dem Alltag reißen kann und einlädt, eine ganz eigene Reise, wohin auch immer, anzutreten. Ganz nach David Nesselhaufs Motto:
„Wenn man keine harten Drogen nehmen darf, weil man alt ist oder Verantwortung übernehmen muss, dann kann doch wenigstens Musik hören und machen, die den Zweck der Bewusstseinserweiterung erfüllt.“