©Lutz Voigtländer

Benjamin Schaefer – die Schwarmintelligenz der Bigband

Es beginnt geisterhaft: das kaum hörbare Geräusch der in Blasinstrumenten zirkulierenden Luft dringt an die Ohren, ehe ein einsames Altsaxophon ertönt. Weitere nervöse Bläser gesellen sich dazu, ein gestrichener Bass, ein zerhacktes Schlagzeug. Gewöhnliche Songstrukturen sind auf „Hive Mind“ nicht zu finden. Benjamin Schaefer hat ein fünfteiliges Album konzipiert, aufgenommen an vier Tagen in Köln mit 17 Musikern: je vier Trompeter und Posaunisten, fünf Saxophonisten, dazu Bass, Schlagzeug, Gitarre und Schaefer selbst am Klavier.

Der 1981 geborene Musiker hat bereits in diversen Besetzungen gearbeitet, zuletzt veröffentlichte er mit einem Quintett „Quiet Fire“. Nun hat Schaefer gänzlich Neues geschaffen: „Hive Mind“ (deutsch: Schwarmintelligenz)  lotet die Möglichkeiten der Bigband mit der Flexibilität einer kleinen Gruppe aus. Improvisierte und komponierte Passagen sind nicht voneinander zu unterscheiden, jedes Bandmitglied soll potenziell Führender und Folgender sein. „Ich habe die Musik zwar komponiert“, sagt der Pianist, „aber nicht immer ein bestimmtes Resultat im Kopf. Die Musik ist so konzipiert, dass sie immer wieder Platz für Überraschungsmomente lässt. Diese Momente sind die besten im ganzen Konzert!“

Schaefer sagt, er sei kein Büchermensch, aber: „Musik, die ausschließlich selbstreferentiell ist, langweilt mich schnell.“ Das intellektuelle Konstrukt von „Hive Mind“ ist komplex: „Egregores“ ist inspiriert von wütenden Giganten im äthiopischen Henochbuch, die musikalische Phrasen in „Long Story Short“ bilden Wörter im Morsecode, der Titelsong spielt in Metren und Motiven mit Hexagon-Strukturen. Benjamin Schaefer dazu: „Der gemeinsame Nenner liegt im Spannungsfeld Mensch – Natur – Technik. Wie wollen wir Menschen dieses Zusammenleben künftig gestalten?“ Musikalisch finden sich auf dem Album Spuren traditionellen Swings, im nächsten Moment scheint man in eine Miles Davis/Gil Evans-Suite geraten zu sein. Pianissimo-Passagen wechseln sich mit explosiven Bläsern ab, dazu laute Rockdrums von Jonas Burgwinkel (Pablo Held Trio).

„Leichte Kost gibt es um uns herum genug. Als schwergängig empfinde ich ‚Hive Mind‘ allerdings nicht: es gibt komponierte Passagen, wiedererkennbare Melodien und gängige Taktarten.“ Dank einer Crowdfunding-Kampagne konnte Benjamin Schaefer zwei Konzerte seines Bigband-Projektes auf die Beine stellen, am 26. Februar ist er mit allen 17 zu Gast in Hamburg. Wenn Jazzcracks wie Matthias Schriefl, Frank Wingold und Denis Gaebel im Stage Club aufspielen, werden Überraschungsmomente nicht ausbleiben.


Benjamin Schaefers „Hive Mind“: 26. Februar 2019, 20 Uhr, Stage Club, Tickets: 15 €, Infos hier.

weitere News:

„Why are there boundaries?“ – Der DJ und Multiinstrumentalist French Kiwi Juice

Wer zum ersten mal French Kiwi Juice (FKJ) hört, dem eröffnet sich ein wahres Feuerwerk an Geschmäckern. Dass diese klangliche Melange aus Soul, Jazz, Blues, HipHop und einer gehörigen Portion deeper Electro-Beats aus Frankreich und nicht etwa aus London oder New York kommt, verwundert umso mehr. Am 16. Februar kommt French Kiwi Juice in die Hamburger […]

Der Jazz Moves Schnack – Podcast Folge 21 – Julia Hülsmann

Die Saxofonistin/Sängerin Stephanie Lottermoser und JAZZ MOVES-Redaktionsleiter Jan Paersch reden über Jazz – und was sie darunter verstehen. Heutiger Gast: die Pianistin Julia Hülsmann. Julia ist vielleicht DIE deutsche Jazzpianistin – dabei hat sie erst im Alter von elf Jahren mit dem Unterricht begonnen. Im Schnack erzählt sie von ihrer Leidenschaft für Tanz, ihr politisches […]

VLog: Noah’s Notes from NYC – Episode 04

Der Jazzpianist und gebürtige Hamburger Noah Rott meldet sich als US-Korrespondent für JAZZ MOVES aus dem Big Apple. In der vierten Episode stapft Noah durch den tiefen Januarschnee und fragt sich: Wie hat sich das Berufsleben der New Yorker Jazzer*innen in den letzten 12 Monaten verändert? Die sinkenden New Yorker Mieten reichen längst nicht zum […]