Der Festivalsommer im Norden

Kann man ein Festival nach elf Ausgaben schon traditionsreich nennen? Na klar. Das Elbjazz besteht seit 2010, und mittlerweile muss man kaum noch erklären, wo das Werftgelände von Blohm+Voss liegt. Dort liegt das Festivalzentrum, weitere Bühnen finden sich rund um die Elbphilharmonie auf der anderen Flussseite. 

Die beeindruckende Hafenkulisse ist das große Pfund der zweitägigen Sause, die seit jeher mit großer Stilvielfalt aufwartet. So bunt wie dieses Jahr war das Elbjazz wohl noch nie: neben einem Festival-Veteranen wie dem brillanten Pianisten Michael Wollny und einer so charismatischen Sängerin wie Cécile McLorin Salvant spielen heuer mit Dope Lemon und Unknown Mortal Orchestra sogar zwei waschechte Rock-Popbands auf der Elbinsel, beide mit sonnenuntergangsverstrahltem Psychedelik-Einschlag. Im Großen Saal der Elbphilharmonie geben sich große Besetzungen und Solokünstlerinnen wie Hania Rani die Klinke in die Hand. Unumstrittener Headliner in der Freitagnacht: die Hamburger Techno-Marching-Band MEUTE. Weitere Musiker*innen aus dem Norden werden den vom Jazzbüro Hamburg kuratierten Jazztruck entern, darunter das sanfte Duo CLEO & David Grabowski und die World-Techno-Band Norlyz. Am Samstagnachmittag bekommt Schlagzeuger Dirk Achim Dhonau als „Brückenbauer zwischen den Generationen“ den Hamburger Jazzpreis 2023 verliehen. Wer nach Mitternacht immer noch nicht genug hat, radelt zum Mojo Club – hier wird die Aftershow-Party gefeiert.

Seit 1991 gibt es das Jazz Baltica. Spielort war zunächst Plön, dann Timmendorfer Strand – immer unweit der Ostsee. Seit 2018 findet das Festival mit Schwerpunkt auf skandinavische und baltische Künstler*innen rund um den Strandpark und das Maritim Seehotel statt. Hochkarätigen Modern Jazz sehen und dabei die Zehen im feinen Sand vergraben – das geht nur hier. Zu den Highlights 2023 gehört der unverwüstliche James-Brown-Posaunist Fred Wesley mit seinen New JBs und ein Auftritt von Günter „Baby“ Sommer. Die Schlagzeug-Legende nahm schon vor 30 Jahren teil; im August diesen Jahres wird er 80 Jahre alt. Bei der Jazz Baltica spielt er mit einer international besetzten Bigband. Die Neu-Hamburgerin und Pianistin/Sängerin Clara Haberkamp mit ihrem neuen Trio ist genauso zu Gast wie die Bigband des Ostsee-Gymnasiums Timmendorfer Strand – mit Special Guest Nils Landgren. Der schwedische Posaunist leitet das Festival seit 2012. Besonderes reizvoll: die täglichen kostenlosen Open-Air-Konzerte am Strand. 

Der Honigsee ist ein Teich kaum mehr als zehn Kilometer südlich von Kiel, der dazugehörige Ort hat nicht einmal 500 Einwohner. Die würden versammelt nur mit Mühe auf die alte Streuobst-Wiese passen, auf der nun zum dritten Mal die Honeylake Sessions stattfinden. Die Berliner von Handshake Booking kuratieren dieses liebevoll gestaltete Mini-Festival. Es gibt weder Camping-Gelegenheiten noch ein tagesfüllendes Programm. Aber jeden Abend treten zwei bis drei ausgesuchte Bands zwischen Folk, Electronica und Jazz auf. Zwischen uralten Bäumen und selbstgezimmertem Bartresen spielt das gefühlvolle Drums-Rhodes-Duo Svaneborg Kardyb auf, es wärmt das Berliner Folk-Jazz-Quartett Leléka, die argentinische Swing-Dixie-Tango-Rock-Band Rosario bringt alle in Tanzlaune. Pech: den Honigfreunden ist vor kurzem die Scheune mit allem Festival-Material abgebrannt – man freut sich über Sachspenden wie Tische, Bänke, Pavillons und Lichterketten. Tipp für Hamburger*innen: den RE bis Flintbek nehmen und dann 25 Minuten radeln.