Jazz Moves Hamburg

Wegbereiter und Netzwerker – Heinz-Erich Gödecke im Porträt

Rubrik

Feature

Veröffentlicht

02.07.24

Autor:in

Matti Kaiser

Heinz-Erich Gödecke hat die Jazzszene in Hamburg über Jahrzehnte geprägt. Als Musiker, Komponist, Konzertveranstalter, Netzwerker und langjähriger Vorsitzender des Jazzbüros Hamburg e.V. ist sein Schaffen bis heute präsent. Seinem vielfältigen Schaffen in einem Porträt gerecht zu werden, ist beinahe unmöglich. Jazz Moves Autor Matti Kaiser hat es trotzdem probiert. Die Grundlage seines Textes bildet ein Interview mit Heinz-Erich Gödecke, das Mücke Quinckhardt und Hank kurz vor seinem 80. Geburtstag im Jazzbüro Hamburg geführt haben.

Als Heinz-Erich Gödecke 1944 im nordfriesischen Niebüll auf die Welt kommt, ahnt sicherlich noch niemand, dass ein so bewegtes Leben vor ihm liegt. Kurz nach Kriegsende zieht er mit seinen Eltern in das größtenteils zerstörte Hamburg, wo er aufwächst und zur Schule geht. Ein Freund aus vermögendem Elternhaus hat Zugriff auf einen Schallplattenspieler mit umfangreicher Plattensammlung, die auch Jazz beinhaltet. Zur damaligen Zeit nicht unbedingt üblich, wie Gödecke schmunzelnd feststellt: “In der Schule haben wir mal Benny Goodman mit Bigband gehört. Unser Lehrer war absolut entsetzt. Jazz war damals ganz und gar nicht salonfähig.”
Gödecke überredet seine Eltern trotzdem, ihm eine Posaune zu kaufen und beginnt sich musikalisch auszuprobieren. Er spielt in kleineren Bands, trifft andere Musiker*innen und besucht Konzerte. Eines davon ist ihm noch heute lebhaft in Erinnerung – Art Blakey in den Messehallen. “Das hat mich dermaßen umgehauen damals, das war irre! Danach wusste ich einfach, was ich tun möchte.”

Vorerst entscheidet sich Gödecke aber für einen anderen Weg. Er wird Ingenieur und arbeitet nebenbei über viele Jahre als bildender Künstler. Doch Musik lässt ihn nie wirklich los. Im Alter von 40 Jahren trifft er die Entscheidung, sich von nun an ernsthaft mit Musik zu beschäftigen. Der Zeitpunkt dafür könnte nicht passender sein.
Eine Scheidung schafft Raum für Neuanfang und an der Hochschule für Musik und Theater entsteht der Studiengang Jazz unter der Leitung von Dieter Glawischnig. Dieser ermuntert Gödecke, als Gasthörer an Seminaren und Kursen teilzunehmen. Hierbei ging es um Harmonielehre und Jazzkomposition, später dann bei Manfred Stahnke und Peter Michael Hamel um Neue Musik. Ein verhältnismäßig später Einstieg in die Musik, der für Gödecke jedoch durchaus Vorteile hat: “Ich habe spät angefangen Musik zu machen, daher habe ich mich stets als jungen Musiker gesehen.”

Gödecke steigt schnell in die Hamburger Szene ein, schon geprägt von Neuer Musik, und entdeckt die Avantgarde für sich. “Meist habe ich freien Jazz gespielt. Möglicherweise lag das jedoch daran, dass ich keine Harmonielehre konnte.” Die Reaktionen des Publikums auf freie Musik sind durchaus ambivalent. ”Eigentlich gab es nur zwei Dinge, die bei den Konzerten passiert sind: Entweder das Publikum ist fasziniert im Sitz versunken oder hat konsequent und ziemlich schnell den Raum verlassen.” beschreibt er die Szenarien zu Beginn seiner Karriere.

In den 1980er Jahren gründen sich in Hamburg immer mehr Initiativen, die sich der Förderung von Jazz verschreiben. Der Bedarf ist trotzdem kaum zu erfüllen. Der neu gegründete Studiengang Jazz zieht reihenweise junge Nachwuchsmusiker*innen nach Hamburg, die vor allem eins wollen: spielen. Gödecke erkennt die Lücke, die es zu schließen gilt, und ist einer der Initiatoren, die an der Gründung des Jazzbüros Hamburg e.V. beteiligt sind, ein Verein, der Interessen und Bedürfnisse der Szene bündelt und deren langjähriger Vorsitzender Gödecke wird.

Die kleine Kellerwohnung, die Gödecke zu dieser Zeit in Altona bewohnt wird zufällig zum
Ausgangspunkt für eine weitere wichtige Etappe seines Lebens, die ihn in den folgenden Jahren vor allem in die Länder der ehemaligen Sowjetunion führt und intensives Interesse an armenischer Musik weckt.
Im Jahr 1991 übernachtet eine rusische Band in Gödeckes Wohnung und bleibt länger als gedacht. Die „Fremden“ werden schnell zu Freunden. Dem folgten viele Einladungen zu Konzerten nach Russland, Tuva, Armenien und Ukraine.
Im Jahr 1991 übernachtet notgedrungen eine Band aus England in der Wohnung von Gödecke und bleibt deutlich länger als erwartet. Die Fremden werden schnell zu Freunden und verfügen über gute Kontakte in die ehemalige Sowjetunion.
Gödecke und andere Musikerinnen organisieren Konzerte vor Ort und erfahren neben überbordender Gastfreundschaft auch ein enormes Interesse an Avantgarde Jazz. In den Folgejahren initiiert er immer wieder Konzertreisen, knüpft Kontakte zu lokalen Musikerinnen und kümmert sich um Finanzierungen. Der aktuelle Krieg in Europa beschäftigt Gödecke, der sich zeitlebens zwischen verschiedenen Kulturen bewegt hat, sehr: „Der Krieg ist wie ein Damoklesschwert, der Auswirkungen auf alle Bereiche des Lebens hat. Ich habe sowohl in der Ukraine als auch in Rußland Freunde. Ich kann das wirklich nur schwer ertragen.“

Ab 2010 verlagert Heinz Erich Gödecke seinen Lebensmittelpunkt in beschauliche Gribow in Mecklenburg-Vorpommern. Er zieht sich, wohl prüfend, dass der Verein gut weitergeführt werden wird, aus der Vorstandsarbeit im Jazzbüro zurück und übergibt den Vorsitz an Mücke Quinckhardt. Geschäftsführerin bleibt Gabriele Benedix, die auch seit Anbeginn dabei war und die Geschäfte des Vereins bis 2013 führte.
Auch heute, im Alter von 80 Jahren, bleibt Gödecke umtriebig. Er initiiert Konzerte und nimmt regelmäßig an Sessions in Berlin teil, bei denen er alte Weggefährten trifft, die aus den verschiedensten Winkeln der Welt stammen. In seinem ehemaligen Elternhaus lässt er
Proberäume bauen, die er Hamburger Musikerinnen zur Verfügung stellt. Einer dieser
Musiker
innen ist inzwischen in einer ähnlichen Doppelfunktion tätig, die Gödecke zeit seines
Lebens innehat: Tilman Oberbeck, Bassist und nach seiner Zeit als Vorsitzender der Jazz Federation jüngst zum künstlerischen Geschäftsführer der JazzHall berufen. Vielleicht ein lebender Beweis dafür, dass Kreise sich schließen, wenn Gödecke beteiligt ist. „Ich bin Dilettant und als solcher fühle ich mich bis heute. Gleichzeitig bin ich aber auch Ingenieur und in diesem Beruf ist klar, dass man etwas zu Ende bringt, wenn man es anfängt. Daran habe ich mich stets gehalten.“

Das gesamte aktive Jazzbüro-Team, der Vorstand, als auch die Vorgängerinnen bedanken sich bei Heinz-Erich Gödecke für seine unermüdliche Arbeit, seinen Mut und seine Vision, sich für die Akteur*innen der Hamburger Jazzszene einzusetzen. Er hat Brücken geschlagen und immer wieder versucht die Sichtbarkeit für die Szene noch weiter zu erhöhen. Ohne ihn wäre Hamburg heute ein großes Stück ärmer!

Das Jazzbüro Hamburg e.V. und Vorstand

(Réka Csorba, Christopher Olesch, Hank Gerth und Stephanie Lottermoser, Felix Tenbaum, San Glaser, Ken Dombrowski)

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