Zum Tod von Buddy Lüders
Der langjährige Programmmacher der Fabrik Buddy Lüders ist verstorben
Rubrik
Feature
Veröffentlicht
18.02.25Autor:in
Berthold Seliger

Buddy Lüders, der über drei Jahrzehnte als quasi musikalischer Direktor in der Altonaer Fabrik gewirkt und damit das Hamburger Kulturleben stark geprägt hat, ist im Dezember 2024 gestorben. Der hier zu lesende Nachruf auf Buddy Lüders wurde von seinem langjährigen Freund, dem Tourneeveranstalter und Autor Berthold Seliger, verfasst.
Ein Gedenkgottesdienst zu Ehren von Buddy Lüders fand am 29.01.25 in der St. Johannis Kulturkirche Altona statt, initiiert von Karsten Jahnke und Berthold Seliger. Dank an Stefan Malzkorn für das Porträtbild.
Buddy Lüders, der über drei Jahrzehnte als quasi musikalischer Direktor in der Altonaer Fabrik gewirkt hat, ist im Dezember 2024 gestorben.
In der Kulturszene werden häufig die Musiker*innen, die Künstler*innen geehrt, aber nur selten diejenigen, die im Hintergrund agieren, ohne deren Arbeit aber unsere ganze Kultur nicht denkbar wäre. Wie Karsten Jahnke es in der Einladung zur Trauerfeier so schön formuliert hat:
Wir würden sagen, dass die gesamte Kulturwirtschaft ohne engagierte und leidenschaftliche Menschen wie Buddy Lüders längst nicht mehr existieren würde.
Buddy Lüders war einer dieser unermüdlichen Ermöglicher, einer derer, die die Kultur in ihrer immensen Vielfalt gestalten und überhaupt erst möglich machen. Er hat die kulturelle Landschaft Hamburgs immens bereichert.
Vielleicht darf ich an dieser Stelle eine kleine Parabel zitieren, die David Foster Wallace einmal erzählt hat:
Schwimmen zwei junge Fische des Weges und treffen zufällig einen älteren Fisch, der in die Gegenrichtung unterwegs ist. Dieser nickt den beiden zu und sagt: "Morgen Jungs, wie ist das Wasser?" Die zwei jungen Fische schwimmen eine Weile weiter, und schließlich wirft der eine dem anderen einen Blick zu und fragt: "Was zum Teufel ist Wasser?"
Das ist natürlich eine Parabel, die man auf viele Lebensbereiche anwenden kann. Auf das Leben an sich. Aber auch zum Beispiel auf unsere mitunter doch auch arg komische Musik- und Konzertbranche, in der so viele rumschwimmen, ohne allzu viel Ahnung zu haben, was das eigentlich ist: Unser Wasser…
Buddy Lüders dagegen war jemand, der sehr gut und sehr genau wusste, was „Wasser“ ist. Er hatte ein immenses Wissen über Musik mit Schwerpunkten im Bereich Jazz, aber auch der sogenannten Weltmusik – sonderzahl die internationalen und lokalen Jazz-Acts und die afrikanischen oder südamerikanischen Acts, die Buddy in die Fabrik geholt hat. Wenn heute häufig von „kultureller Vielfalt“ die Rede ist – Buddy Lüders hat diese kulturelle Vielfalt durch seine Programmgestaltung realisiert und gelebt, als das noch keine Sprechblase in Sonntagsreden von Politiker*innen war.
Aber Buddy war nicht nur jemand, der die Musik liebte und sich für sie mit allem Elan und größtem Engagement einsetzte – er war auch jemand, der in der Art, wie er Konzerte vereinbarte und umsetzte, fast schon einmalig war. Er hatte einen untrüglichen moralischen Kompass, es war ihm selbstverständlich, dass er anständig und verlässlich blieb bei all den Versuchungen, Irrungen und mitunter merkwürdigen Usancen unseres Geschäfts. Buddy war immer ein Partner auf Augenhöhe, mit dem man vertrauensvoll verhandeln konnte. Als wir uns schon länger kannten, bestanden unsere „Verhandlungen“ manchmal nur aus den Fragen: „Was brauchst du?“ Oder andersherum: „Was kannst du?“ Und was der jeweils andere sagte, galt dann als ausgemacht, und wir konnten uns nach solchen kurzen „Verhandlungen“ ausführlich über Musik und die Welt unterhalten.
Das Besondere, das wirklich Einzigartige an Buddy Lüders war jedoch, dass er trotz all seiner Kenntnisse, trotz seines immensen Know-Hows trotz seiner jahrzehntelangen Erfahrung immer bescheiden blieb. Er spielte sich nicht auf, ganz im Gegenteil. Wie oft sah ich ihn in der Fabrik beim Konzert an der Bar stehen, ein Bier trinken und alles ganz genau verfolgen: Nicht nur, wie die Musiker*innen auf der Bühne spielten, sondern auch, wie das Publikum reagierte, wie die Stimmung war, wie alles „funktionierte“ in seinem Laden – eben all das, was zu einem gelungenen Konzertabend beiträgt.
Nach der Show sah man Buddy nie im Backstage, er, der das alles wesentlich mit ermöglicht hatte, tat sich nicht hervor. Man musste ihn förmlich nötigen, sich den Musiker*innen vorzustellen – er war derjenige, der bescheiden im Hintergrund bleiben wollte. Unter all den Wichtigtuern und Selbstdarstellern im Konzertgeschäft wahrlich eine ganz besondere, eine einzigartige Tugend…
Ich denke dabei an ein kleines Lied von Konstantin Wecker, das er über unseren Freund Buddy Lüders geschrieben haben könnte und in dem es heißt:
„Es sind nicht immer die Lauten stark,
nur weil sie lautstark sind.
Es gibt so viele, denen das Leben
ganz leise viel echter gelingt.“
Ich habe Buddy Lüders irgendwann Anfang der 1990er-Jahre kennengelernt. Da hatte er quasi schon ein halbes Leben hinter sich – aufregende persönliche Jahre, wie er später erzählte, aber auch spannende berufliche Zeiten: Er hatte in Gütersloh zusammen mit anderen Bürgerinnen und Bürgern die „Alte Weberei“ gegründet, eine 1975 eingestellte Frottierweberei, deren Gebäude abgerissen werden sollte, was ein „Aktionskomitee Rettet die Fabrik“ verhinderte. 1982 beschloss der Gütersloher Stadtrat mit den Stimmen von SPD und FDP die Pläne für ein „soziokulturelles Zentrum“, und dieses wurde im Februar 1984 als „Alte Weberei“ eröffnet. Buddy Lüders mittendrin, verantwortlich für die Musik. Einmal Fabrik, immer Fabrik…
Buddy buchte in Gütersloh Musiker*innen wie Ina Deter – die Älteren werden sich erinnern: „Neue Männer braucht das Land“… –, Ulla Meinecke, Rio Reiser, die Band Colosseum und viele andere. Und er wuppte ein großes Projekt mit dem Komponisten Hans Werner Henze, der 1926 in Gütersloh geboren worden war. Von diesem Projekt mit einem der wichtigsten Komponisten des 20. Jahrhunderts erzählte Buddy mir so nebenher, als wir uns schon mehr als ein Jahrzehnt kannten – jeder andere hätte einem das wohl schon beim Kennenlernen auf die Nase gebunden…
Seit der zweiten Hälfte der 1980er Jahre lebte Buddy Lüders in Hamburg. Als ich 1988 meine Konzertagentur gegründet habe und auf der Suche nach Veranstalter-Adressen war – damals gabs noch kein Internet, keine E-Mails, nicht einmal Fax, es gab bloß paar Bücher mit Veranstalter-Kontakten, und es gab die Veranstalter-Spalten in den einschlägigen Stadtmagazinen – damals also stand bei der legendären Hamburger Fabrik, in der wir alle unsere Konzerte unbedingt sehen wollten, bereits als Kontakt „Buddy Lüders“. Um ehrlich zu sein, dachte ich anfangs, dass „Buddy“ eine Art Spitzname sei, also ein Buddy, wenn man so will.
Kennengelernt habe ich Buddy dann über Jens Rachut, einen anderen besonderen Hamburger Menschen, in dem Fall: Musiker, Schauspieler, Punk…
Jens hatte einige meiner Konzerte in der Markthalle veranstaltet, sich dann mit dem Laden irgendwie überworfen und von Buddy Asyl in der Fabrik erhalten – auch so eine typische Eigenschaft von Buddy, dass er gute Leute anzog und ihnen die Mitarbeit ermöglichte. Und so haben Buddy und ich seit den 90er-Jahren sicher mehr als hundert Konzerte gemeinsam in der Fabrik veranstaltet. Und schon bald wurden wir Freunde.
Der Politikwissenschaftler und Journalist Dolf Sternberger, dem wir den heute wieder so aktuellen und wichtigen Begriff des „Verfassungspatriotismus“ verdanken, schrieb 1931 seine Doktorarbeit mit dem Titel „Der verstandene Tod“. 1977, 46 Jahre später, schrieb er in einem weiteren Buch über den Tod:
„Der Tod ist ein Gegenstand, den wir nicht begreifen können. Er lässt sich nicht annehmen oder einsehen. Er ist die tiefste Kränkung, die sich denken lässt. Er ist etwas ganz und gar Unverständliches.“
Wir Menschen sind bekanntlich die einzigen Lebewesen, die von ihrem Tod wissen. Und ich weiß nicht, ob das gut ist oder eher schlecht. Intellektuell gesehen würde ich es immer als „gut“ begreifen, es ist ja wichtig, sich mit diesem essenziellen Thema auseinanderzusetzen. Aber emotional bin ich mir da nicht ganz so sicher. Jedenfalls ist der Tod an sich ein Skandal, den hinzunehmen wir eigentlich nicht bereit sind. Und ich protestiere in aller Form gegen den viel zu frühen Tod unseres Freundes Buddy Lüders.
Aber das ist natürlich eine mehr als hilflose Geste. Wir können ja nicht über unseren Tod verhandeln, so etwas gibt es nur im Märchen oder im Theater.
In Franz von Kobells Erzählung „Der Brandner Kaspar“ spielt die Titelfigur mit dem „Boandlkramer“ – altbairisch für „Gebeine“- beziehungsweise „Knochenhändler“, also für den Tod – Karten, bescheißt ihn und ergaunert sich so ein paar zusätzliche Lebensjahre. Was für eine schöne Vorstellung!
Aber wie gesagt: das ist alles Literatur, im wirklichen Leben haben wir keine Chance, wir müssen den Tod unserer Freunde, unserer Geliebten, unserer Familienmitglieder, unserer Mitmenschen hinnehmen und irgendwie weiterleben. Und wir wundern uns dann, wie die Welt um uns einfach so weitergeht, als ob nichts geschehen sei, wo wir doch gerade einen Freund, einen geliebten Menschen verloren haben: Die Sonne scheint sogar, die Vögel zwitschern, die Autos fahren sinnlos rum, die Menschen sitzen im Café oder gehen in den Supermarkt, aus den Zeitungen schreien uns die Schlagzeilen an, und aus dem Radio kommen die gleichen Sounds wie sonst auch.
„Media vita in morte sumus.“ „Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen.“
Wir können den Tod nicht begreifen. Er ist unveränderlich mitten unter uns, und mitten in uns. Das Einzige, was uns übrigbleibt, ist das, was auf dem Grabstein von Herbert Marcuse steht: „Weitermachen!“ In der jüdischen Kultur ist die höchste Auszeichnung, die über einen Menschen gesagt werden kann: Er sei „a Mentsh“ gewesen. Gemeint ist ein Vorbild, ein edler Mensch. Buddy Lüders war ein wunderbarer Mensch. Wir vermissen ihn schmerzlich. Und wir werden ihn nicht vergessen. Mach es gut, Buddy!
Fotograf: ©Stefan Malzkorn/ malzkornfoto.de