Jazz Moves Hamburg Beta

Das Jazz-Herz der Siebziger

Zum Tod von Onkel-Pö-Betreiber Peter Marxen

Rubrik

Feature

Veröffentlicht

22.6.2020

Autor:in

Hans Hielscher

Schlange vorm Onkel Pö • Foto: Holger Jass

Dizzy Gillespie, Chick Corea und Pat Metheny in einem kleinen Jazzclub? Das legendäre „Onkel Pö“ machte es möglich. Am 10. Juni ist der Mann gestorben, der eine Karnickelhöhle zum Szenetreff machte: Peter Marxen. Ein Nachruf von Hans Hielscher.

Hamburg in den 1970er Jahren: die Hauptstadt des Oldtime Jazz. Zwar dominierte damals schon zeitgenössischer Jazz die Sendungen des NDR. Der vom Piano-Profi zum Leiter der Jazz-Redaktion aufgestiegene Michael Naura widmete das Programm vorwiegend den aktuellen Genre-Protagonisten. Doch die NDR-Radio-Sendungen wurden vor allem im Norden der Bundesrepublik wahrgenommen.

Zur zeitweiligen deutschen Jazz-Metropole stieg die Hansestadt auf, nachdem Peter Marxen die Eckkneipe „Onkel Pö’s Carnegie Hall“ in Eppendorf übernahm und zum international bekannten Szenetreff machte. Marxen wurde an der Ostsee geboren und hatte sich zunächst als Seemann und freier Grafiker durchs Leben geschlagen. Er kellnerte im Stadtteil Pöseldorf, als ihm die Idee kam, das bereits bestehende „Onkel Pö“ 1975 zu übernehmen. Als begeisterten Jazzfan träumte der stämmige Bartträger davon, dass seine „Karnickelhöhle“ Auftrittsort von Jazzmusikern wurde, die er von Platten kannte und verehrte.

Das Onkel Pö wurde jahrelang zu einem Magneten für die die Hamburger Kulturszene.

(Hans Hielscher)

Möglich wurde die Vision, weil Marxen mit dem NDR-Jazzchef Naura und dem Label-Manager Siegfried Loch (damals WEA-Konzern, heute ACT) befreundet war. Der Radio-Mann, der Platten-Macher und der Kneipier holten den bis dahin völlig unbekannten Amerikaner Al Jarreau ins Onkel Pö und erlebten den „Tag, an dem die Bierhähne still standen“ (Marxen): Hingerissen von der Musik des schmächtigen 35-jährigen aus Milwaukee  vergaßen die Leute zeitweilig das Trinken. Denn Jarreau produzierte neben seinem Gesang wie mit einem Orchester in der Kehle Töne von Bongotrommeln und Saxofonen.

Der NDR sendete das erste Konzert des Wunder-Vokalisten, und in fünf Tagen im Onkel Pö begann Al Jarreaus Weltkarriere. Fortan wurde das Ecklokal auch Anziehungsort für Konzert- und Festivalveranstalter. Marxen holte im Zusammenspiel mit Naura und Loch Jazz-Größen wie Dizzy Gillespie, Chet Baker, Art Blakey, Chick Corea und Pat Metheny in seine für maximal 300 Gäste zugelassene Location. Geld für die Gagen brachten Rundfunk-Mitschnitte und Überschüsse aus Auftritten von nur lokal bekannten Musikern. Das Onkel Pö wurde jahrelang zu einem Magneten für die die Hamburger Kulturszene. Zu Marxen als Saufkumpan und Seelentröster kamen Opern- und Theater-Künstler. Der stämmige Bartträger wusste genau, dass ein doppelter Jägermeister gewünscht wurde, wenn Michael Naura an die Theke kam und „flüssige Scheiße“ verlangte.

Doch das Leben mit Alkohol und einem selbstausbeuterischem Arbeitspensum schlauchte. „Pö-Jahre sind wie Hundejahre, die zählen siebenfach“, sagte Marxen bei der Übergabe des Lokals an seinem Nachfolger Holger Jass. Nach turbulenten Jahren verabschiedete sich Marxen ausgelaugt aus Hamburg und übernahm das Feinschmecker-Restaurant „Forsthaus Hessenstein“ bei Lütjenburg in Ostholstein. Dort erinnerten Jazz aus Lautsprechern und Bilder von Ernst Kahl an seine musischen Vorlieben.

Pö-Nachfolger Jass

war ein Stammgast aus der Nachbarschaft, als er die Szenekneipe  1979 übernahm. Er hat die Geschichte des Lokals in einem Buch beschrieben: Dass in dem rauchigen Raum auch Otto Waalkes und Herbert Grönemeyer aufgetreten sind, dass Udo Lindenberg  lebenslang Freibier versprochen wurde, weil er in seinem Hit „Alles klar auf der Andrea Doria“ von der „Rentnerband“, gesungen hatte, die „im Onkel Pö seit zwanzig Jahren Dixieland spielt“. Jass führte die Musikkneipe bis zu ihrem Ende 1985.

Da hatte sich Peter Marxen hatte schon völlig aus der Jazzszene zurückgezogen. Seine Freunde trafen ihn noch einmal bei der Seebestattung seines Jazzbruders Michael Naura 2017 in der Kieler Bucht. Marxen starb an den Folgen eines Schlaganfalls am 10. Juni dieses Jahres. Er wurde 80 Jahre alt.

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