Jazz Moves Hamburg Beta

The Collective Abroad

Wärme, Wut und Haltung

Rubrik

Feature

Veröffentlicht

22.11.2023

Autor:in

Mücke Quinckhardt, Petra Riess

In Zeiten populistischer Schreihälse, die unablässig Europas Ende vorhersagen, wirkt das 13-köpfige Line-up des “Collective Abroad” wie ein bewusst gestalteter Kontrapunkt. Gleich acht Nationalitäten treffen in der Band aufeinander. Jazz Moves-Autor Matti Kaiser hat Drummer Dominic Harrison und Bassist Jan Sedlak getroffen und mit ihnen über die Entstehungsgeschichte der Band, die Wichtigkeit von Respekt füreinander und die Aufnahmen zum neuen Album gesprochen.

Die Geschichte der Band startet dort, wo schon so manche Reise begonnen hat: im Hamburger Hafen. Als Teilnehmer*innen eines Austauschprojekts verschiedener Hochschulen trifft sich das Kollektiv zum ersten Mal beim Elbjazz Festival 2019. In nur einer Woche erarbeiten sie ein Programm und debütieren unter dem Namen “European Jazz Lab” auf der “HfMT Young Talents Stage”. Drummer Dominic Harrison berichtet von einem euphorischen Gefühl nach den ersten Proben:

Du konntest einfach fühlen, wie sich die verschiedenen Szenen, Einflüsse und Kulturen miteinander zu Musik verbinden – das war unglaublich. Wir mussten das einfach als feste Band weitermachen.

(Dominic Harrison)

Seit dem Festival ist einiges passiert. Tourneen führen die Band durch Deutschland, Litauen, Estland und Skandinavien, einige Teile der Besetzung wechseln. Die kreativen Ideen aller Beteiligten zusammenzubringen wird zur größten Herausforderung der Anfangszeit. „Wir mussten für uns die Frage beantworten, was für eine Musik wir spielen wollen. Dafür wurden von allen Musiker*innen Stücke geschrieben. Viele von denen haben es bis heute nie auf ein Album geschafft. Es waren einfach zu viele verschiedene Ideen!” beschreibt Bassist Jan Sedlak diese Phase.

Die vielen Auftritte des Collective Abroad lassen in den Folgemonaten nicht nur die Stücke reifen, sondern helfen der Band auch, ihren eigenen Sound zu finden. Fehlgeschlagene Experimente gehören zum Live-Konzept und werden auf der Bühne mit einem Lächeln quittiert. Jede*r soll sich frei entfalten und seine spielerischen Grenzen austesten können, ohne dass er von den anderen dafür verurteilt wird. Jan bringt dieses Konzept auf eine einfach Formel: „Es ist wichtig, sich gegenseitig zu respektieren. Das ist ein Lernprozess. Und: Wir werden immer besser darin.”

Nach dem Livealbum „L!ve at Huset” plant das Collective im Sommer 2021 die Aufnahmen zur nächsten Platte. Europaweite Lockdowns, Krankheitsfälle und Quarantäne-Regelungen lassen die Organisation der Aufnahmen zu einer noch größeren Herausforderung werden. Kurz vor den Aufnahmen fällt Pianist Sandro Saez-Eggers krankheitsbedingt aus und wird von Julia Perminova aus Russland vertreten. Julia bringt – ganz im Sinne der kollaborativen Grundeinstellung der Band – ein eigenes Stück mit zu den Aufnahmen, das es direkt auf das Album schafft.

„Sea Lullaby”, entstanden zusammen mit der schwedischen Sängerin Clara Fornander, steht beispielhaft für die intime und in sich ruhende Seite der Band. „Wir wollten, dass du bei den Aufnahmen jeden Atemzug wahrnehmen kannst – und die Leute so nah wie möglich dabei sind”, beschreiben die beiden Musikerinnen ihre Soundvorstellungen. Doch das Collective Abroad zeigt auf dem neuen Album auch eine andere Seite. Oft scheinen vertrackte Rhythmen und rauschhafte Dissonanzen in den einzelnen Kompositionen durch. „Unstable” steht beispielhaft für diesen ungestümen Charakter der jungen Musikerinnen. Flackernd, drängend und unbändig wird der Track zu einer experimentellen Grenzerfahrung, die nicht nur ziemlich grandios gespielt ist, sondern auch das richtige Maß an Wut und Experimentierfreude beinhaltet.

In diesem Jahr geht die Band erneut auf Tour. Auf dem Programm stehen neben den neuen Stücken auch die Intensivierung der Verbindung zu einem jungen Publikum. „Wir wollen, dass junge Leute ein Stück von dem Enthusiasmus teilen, den wir fühlen, wenn wir als Collective Abroad Jazz spielen. Und dass sie verstehen, dass dieser große Raum für Unperfektes bei uns eben die Perfektion ausmacht.”, beschreibt Drummer Dominic diese Haltung. Bleibt zu hoffen, dass der Rest Europas von diesem Enthusiasmus und dem Respekt füreinander erfährt. Denn so warm, modern und vielschichtig waren diese beiden Grundpfeiler unseres Miteinanders lange nicht hörbar.



Das hat auch die Initiative Musik bemerkt, die den Jazzraum mehrfach mit dem Spielstättenpreis auszeichnete. Einige Tage vor dem Jubiläum treffe ich Eva Johannsen in Altona, in ihrem Lieblingscafé an der Ecke, die unweit ihrer Wohnung liegt und nur einen Steinwurf weg von der Elbe. Sie erwartet mich draußen auf einer der Holzbänke, ein Galao steht schon vor ihr auf dem Tisch. Ich müsse entschuldigen, sagt sei, aber sie habe die Nacht durchgemacht, es sei ja noch so viel zu tun. Aber – das Hack für ihre legendären Frikadellen sei bestellt. Die werde sie natürlich wieder selbst machen. Für vegetarische Genüsse sei natürlich auch gesorgt.Sie lacht und klingt dabei wie eine Bassklarinette. Ihr Blick ist absolut nicht müde und wenn sie spricht ist ihre linke Augenbraue ständig in Bewegung. Wir wollen über 20 Jahre Jazzraum sprechen, auch darüber, was nicht im Pressetext steht. 20 Jahre, das überrasche sogar sie selbst, sagt sie. Insgesamt 963 Konzerte gab es in den vergangenen zwei Jahrzehnten im Jazzraum. Alle dazugehörigen Flyer hat sie sorgfältig aufgehoben, laminiert und abgeheftet. Wie alles begann? Es begann mit einem Kneipenjob im Planet Subotnik. Die Live-Konzerte dort mochte sie besonders, aber nicht die Reggaebands, die oft spielten. „Das war nicht so mein Ding!“. Also dachte sie nach und stellte fest, dass es in Hamburg damals eigentlich kaum Spielmöglichkeiten für Jazzmusiker:innen gab. Das Birdland war damals noch anders gestrickt, und einer ihrer Stammgäste, der Jazzschlagzeuger Tarik Husseini ermutigte sie. Im Trio mit dem Pianisten Boris Netzvetaev und Philipp Steen am Bass spielte er vor 20 Jahren das erste Jazzraum-Konzert.

Collective Abroad

Das neue Album “The Cycle” erscheint am 09.02.2022.

Das Release-Konzert am 09.02. im Stream: https://fb.me/e/1Mzcp79HD

Sea Lullaby (feat. Clara Fornander) - The Collective Abroad Foto:

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