Jazz Moves Hamburg Beta

Hamburgs Jazz-Clubs von gestern bis heute

Teil 2 – Die Fabrik

Rubrik

Feature

Veröffentlicht

10.9.2020

Autor:in

Hans Hielscher

Fabrik Hamburg

Oldtime-Jazzer, Töpfer-Nachwuchs, Rockstars: alle sind willkommen in der Fabrik in Hamburg-Ottensen. Hans Hielscher hat mit Protagonisten aus der Geschichte des Kulturzentrums gesprochen und weiß, aus welchem Holz das Gebäude geschnitzt ist.

Hamburgs Clubs sind akut bedroht. Miet-Stundungen und Zuschüsse gleichen die Verluste kaum aus, und mit reduziertem Platzangebot lassen sich keine schwarzen Zahlen schreiben. Doch eine Kulturstadt wie Hamburg braucht Live-Clubs. Nicht nur, weil sie aktuell relevante Künstler*innen einladen, auch historisch sind sie von Bedeutung. Wir stellen Jazz-Locations vor, die wichtig waren – und es hoffentlich bleiben.

(Anm. d. Verf.)

Hamburg, 28. September 1971. Zum Konzert von Mikis Theodorakis waren alle Karten im Nu verkauft – 1200 Stück. Vor der Fabrik warteten Hunderte auf eine Chance, den griechischen Komponisten und Volkshelden doch noch sehen zu können. Glück hatten zwei sechzehnjährige Mädchen aus Eilbek, die in Groupie-Manier am Hintereingang des Gebäudes aus der Gründerzeit herumlungerten. Musiker von Theodorakis‘ Band schleusten die beiden in die Halle. „Nach dem Konzert wurden wir noch zum Essen eingeladen“, erinnert sich Mücke Quinckhardt an den Herbsttag 1971. Dass sie 20 Jahre später Programmgestalterin in dem damals gerade eröffneten Kulturzentrum werden sollte, konnte die musikbegeisterte Teenagerin nicht ahnen.

Wie Mücke Quinckhardt schwärmen Generationen von Hamburger*innen von Erlebnissen und Begegnungen im originellsten Kultur- und Kommunikationszentrum Deutschlands, das 1971 vom Maler Horst Dietrich und dem Architekten Friedhelm Zeuner gegründet wurde. Im Gebäude einer ehemaligen preußischen Munitionsfabrik in Ottensen spielten Kinder Theater und lernten Frauen töpfern. Hier sind Debütanten genau so aufgetreten wie Berühmtheiten. „Fabrik? Mein Sprungbrett zu Erfolg!“ kritzelte ein aufstrebender Entertainer namens „Otto“ kurz nach Eröffnung neben eine Elefanten-Skizze. Weltstars wie Theodorakis und Miles Davis lobten die großartige Atmosphäre in dem kirchenschiffartigen Raum.

Kaum hatte die Fabrik ihre Tore geöffnet, war sie bald das Besondere im Kulturbetrieb der Stadt. Die Neugier trieb Alte und Junge, Besitzende und Habenichtse, darunter Rocker, Arbeitslose, alternative und andere Typen in dieses bis unter das Dach mit einer schwer benennbaren Atmosphäre erfüllte Haus.

(Martin Peters - Hamburger Kulturbehörde, die das neue Zentrum mit 1,2 Millionen Mark pro Jahr subventionierte.)

Dort gab es Literatur-Lesungen, Theateraufführungen und Kleinkunst. Leute strömten zu Film-Screenings und Diskussionen. Vor allem aber wurde die Fabrik eine Spielstätte für Rock, Pop, Folklore, Klassik und: Jazz. Denn der 2014 verstorbene Fabrik-Chef Horst Dietrich hatte ein Faible für diese Musik, und veranstaltete Sonntags-Frühschoppen mit lokalen Oldtime-Stimmungsbands. Dazu kamen im Jahr 1972 Konzerte mit modernen Bands: Art Blakeys Jazz Messengers, Michael Nauras Quartett, Klaus Doldingers Passport, Peter Brötzmann, Albert Mangelsdorff und das Dave Pike Set. 1974 trat die NDR Bigband zum ersten Mal in der Fabrik auf. „Es wurde ein Riesenerfolg und der Beginn einer Jazzkonzert-Reihe“, erinnerte sich der zuständige NDR-Redakteur Wolfgang Kunert 1991.

Ein in jenem Jahr erschienenes Buch zum 20-jährigen Bestehen der Fabrik enthält Fotos von Chet Baker, Ornette Coleman, Nina Simone, der Blues-Ikone B.B. King und anderen Größen. Die Fabrik gehörte lange zu den weltbekannten Spielstätten dieser Musik. Zumal sie über viele Jahre auch Jazz-Festivals mitveranstaltete.

Wie gerne die verschiedensten Künstler in der ungewöhnlichen Spielstätte auftraten, erlebte hautnah Matthias Kolwe, der von 1995 bis 2000 für die Fabrik Pressearbeit leistete und Künstler betreute. Das hieß: von der Ankunft in Hamburg bis zur Abreise „für sie da sein“. „Fast alle genossen die Nähe zum Publikum“, erinnert sich Kolwe. Anders als etwa in der Musikhalle sei der Funke leichter übergesprungen. Michael Brecker brauchte bestimmte Tenor-Sax-Plättchen, andere wollten Hilfe bei der Beschaffung von „Grass“. Matthias „der Flaneur“ Kolwe pflegt bis heute Freundschaften zu Al Di Meola, Uri Caine und Cassandra Wilson. Er reist zu ihren Konzerten, wenn sie in Mitteleuropa gastieren, und lädt sie zum Dinner ein, wenn sie in Hamburg weilen.

In den vergangenen Jahren gab es immer weniger Jazz in der Fabrik, und die Corona-Krise legte den Spielort in der Barnerstraße komplett lahm. Doch dass Hamburgs originellstes Kulturzentrum nicht totzukriegen ist, hatte die Geschichte gezeigt: Am 11. Februar 1977 brannte die Fabrik – wohl aufgrund von Brandstiftung – bis auf die Grundmauern nieder. Im September 1979 wurde sie wiedereröffnet. Seitdem besteht die Trägerkonstruktion aus feuerfestem afrikanischen Bonggossi-Holz.

Wiederauferstehung aus der Corona-Asche: Seit dem 9. September gibt es in der Fabrik wieder Veranstaltungen – auch Jazz.

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