Hamburgs Jazz-Clubs von gestern bis heute
Teil 5 – Cotton Club
Rubrik
Feature
Veröffentlicht
02.03.22Autor:in
Hans Hielscher

Wir stellen Jazz-Locations vor, die wichtig waren – und es hoffentlich bleiben.
„Gesellige Unterhaltungsmusik mit geringem künstlerischen Anspruch“? So sehen manche New Orleans- und Dixieland-Jazz. Seit über sechs Jahrzehnten gibt es solche Klänge im Cotton Club zu hören – nun geht sein Gründer in den Ruhestand. Aber am Alten Steinweg wird weiter gejazzt.
Hamburgs Clubs sind akut bedroht. Miet-Stundungen und Zuschüsse gleichen die Verluste kaum aus, und mit reduziertem Platzangebot lassen sich keine schwarzen Zahlen schreiben. Doch eine Kulturstadt wie Hamburg braucht Live-Clubs. Nicht nur, weil sie aktuell relevante Künstler*innen einladen, auch historisch sind sie von Bedeutung. Wir stellen Jazz-Locations vor, die wichtig waren – und es hoffentlich bleiben.
Es regnet ununterbrochen in Hamburg, vor aufkommenden Stürmen wird gewarnt. Wer nicht unbedingt raus muss, der bleibt zu Hause. Im Cotton Club am Alten Steinweg gleich hinter dem menschenleeren Großneumarkt haben sich am 16. Februar dennoch 40 Personen eingefunden – Musikfans, die zehn Euro bezahlen, um die Band „Skiffle Track“ zu hören. Club-Betreiber Dieter Roloff scheint fast alle Gäste zu kennen. Der freundliche Chef begrüßt viele persönlich; zwischendurch wird er immer wieder ans Telefon gerufen. „Ich muss Stammgästen sagen, dass wir am 26. März völlig ausgebucht sind“, erklärt Roloff an der Theke, „alle wollen zum Abschiedskonzert kommen.“ Das musikalische Goodbye gilt ihm selbst: Nach 61 Jahren im Clubgeschäft geht Dieter Roloff in den Ruhestand.
Seinen geliebten traditionellen Jazz hatte der fitte 78jährige als Schüler entdeckt. Er war 17 und Kaufmannslehrling, als er sich in einem Bunker am Grindelhof um „Vati´s Tube Jazzclub“ kümmerte und den Laden bald in „Cotton Club“ umtaufte. Nach einigen Umzügen fand das Lokal 1971 am Alten Steinweg seinen heutigen Platz. Über Jahrzehnte galt der Kellerclub als einziger Jazz-Spielort Europas, der an sieben Tagen in der Woche Livemusik bot.
Roloff schmunzelt über die Frage, ob es denn immer genug Bands für ein volles Wochenprogramm gab. „In den Anfangsjahren haben wir manchmal ‚Telefon-Bands‘ zusammengetrommelt: Anrufe bei Musikern, die dann wieder Freunde informierten und zusammen anrückten. Aber bis heute gilt: Es melden sich mehr Gruppen, als Termine möglich sind.“
Roloff profitierte von Hamburgs Stellung als Deutschlands Dixieland-Metropole – selbst aus Nachbarländern wie den Niederlanden kamen Fans. Nach dem britischen Oldtime-Idol Chris Barber spotteten manche über die „Hanse- und Barber-Stadt“. Als die Welle abebbte, erweiterte Roloff das Programm um Blues, frühen Swing und Skiffle-Musik. Der Überalterung der Gäste wirkte er entgegen, indem er Besuchern unter 20 freien Eintritt gewährte. „Das war nach einigen Jahren nicht mehr nötig“, erinnert sich Roloff, „etliche Gäste, die als Kinder von ihren Eltern mitgeschleppt wurden, kamen nun von alleine – und brachten ihren Nachwuchs mit.“ So überlebte der Cotton Club andere Hamburger Jazz-Spielstätten wie „Denny´s Swing Club“ und „Onkel Pö´s Carnegie Hall“.
Traditioneller Jazz hat nicht überall einen guten Ruf. Für manche ist es ein Soundtrack für Frühschoppen-Spießer, die sich betrinken, während Amateurmusikanten „When the Saints go marching in“ intonieren. Eine „Rentnerband“, die „seit 20 Jahren Dixieland spielt“, besang Udo Lindenberg schon vor einem halben Jahrhundert.
„Die soziale Funktion des Dixieland-Jazz heute“
heißt es in Reclams Jazzlexikon, „ist die einer geselligen Unterhaltungsmusik mit geringem künstlerischen Anspruch und Verzicht auf Innovation.“ Darüber kann man streiten. Außer Frage steht, dass traditioneller Jazz für viele eine Art Einstiegsdroge war. Lindenberg trommelte als Junge in einer Old-Time-Kapelle; Klaus Doldinger begann seine Karriere als Klarinettist bei den Düsseldorfer „Feetwarmers“. Und ACT-Label-Chef Siegfried Loch verfiel dem Jazz, als er als Teenager Sidney Bechet hörte. Sie alle wandten sich später moderneren Richtungen zu.
Cotton-Club-Chef Roloff erzählt, dass er in den 1970er Jahren gerne Modern Jazz-Konzerte im Jazzhouse in der Brandstwiete besuchte.. Dort traf er ein völlig anderes Publikum als in seinem Laden. „Ich habe damals erkannt, dass die Jazzgemeinde gespalten ist“, berichtet Roloff. Als Fan und Veranstalter habe er sich dann endgültig für die Richtung entschieden, die ihm mehr am Herzen liegt.
Wie zeitgenössische Jazzer*innen auch ticken können, zeigt die Wahlschweizerin Nicole Johänntgen. Die Alt-Saxofonistin traf in New Orleans abseits von Nostalgiker-Wallfahrtsorten wie der „Preservation Hall“ Musiker*innen, die in ihre Stücke Blues-, Pop- und Calypso-Klänge mischten. Johänntgen bildete ein Quartett mit einem Posaunisten, einem Sousaphon-Spieler und einem Schlagzeuger und nahm die Platte „Henry“ auf. Die Kombination von traditionellem Jazz und zeitgenössischen Sounds wurde ein Erfolg. Ähnlich das Hamburger Dutzend von Meute, die mit New Orleans-Instrumenten Deephouse- und Technotracks covern – eine Techno Marching Band.
Dieter Roloff gehörte zu den ersten, die nach Corona-Lockerungen im Kulturbetrieb wieder Live-Events wagten. Er installierte Plexiglasscheiben, doch als Folge der Abstandsvorschriften hatte er nun statt gut 200 Sitzplätzen weniger als die Hälfte. Aber auch die blieben überwiegend leer, denn viele Fans fürchteten, sich anzustecken. Aus dem Grund kündigte auch Roloffs langjährige Kassiererin. Wie vor sechs Jahrzehnten saß er nun selbst wieder an der Kasse.
Inzwischen wurden die Corona-Einschränkungen gelockert – der Laden läuft wieder, jeden Abend spielen Bands. Die lockt neben dem Spaß an der Musik eine annehmbare Gage. Zu den Eintrittseinnahmen erhält jede Band 350 Euro von der Initiative Neustart Kultur der Bundesregierung. „Wir haben keinen Grund zum Klagen“, sagt Roloff. Für die interessierte Öffentlichkeit hat der scheidende Chef eine gute Nachricht: „Drei Personen werden den Cotton Club nach dem 26. März weiterführen.“ Namen wollte Roloff noch nicht nennen.