Jazz Moves Hamburg Beta

Jazz on air

der Hamburger Rundfunk gestern und heute

Rubrik

Feature

Veröffentlicht

04.2.2021

Autor:in

Hans Hielscher

Norag Funkhaus 1931 • Foto: NDR

Radio – lange Jahre untrennbar mit dem Jazz verbunden. Die Musik trug zur Entnazifizierung bei und galt als Waffe im Kalten Krieg. Hans Hielscher erinnert sich an Nächte mit Louis Armstrong und vom Pianisten Michael Naura organisierte Konzerte.

Der norddeutsche Jazz ist umgezogen: seit dem 1. Januar läuft er im Rundfunk auf NDR Kultur statt bei NDR Info. Auch im Zeitalter der Mediatheken hören viele ihren Jazz in der altmodischen „Dampfradio-Masche“: Sie schalten ein, wenn das auf einem festen Platz stehende Programm beginnt – nun zur späteren Zeit um 22:33 Uhr.

Jazz hören? Da war jahrzehntelange das Radio die einzige Möglichkeit. Plattenspieler waren im zerstörten Nachkriegs-Deutschland Luxusgüter; schlechter Verdienende hatten so etwas nie besessen. Grammophone gingen im Bombenkrieg oder auf der Flucht verloren – oder wurden in den Hungerjahren gegen Brot und Kartoffeln eingetauscht. Jazz auf Schallplatten gab es nicht, weil dieses Genre in zwölf Nazi-Jahren geächtet worden war. Das bedeutete auch: null Jazz im deutschen Reichsrundfunk.

Nach 1945 kamen die von den Alliierten zugelassenen neuen Sender. Ein Radio gab es in jedem Haushalt. Der Hörfunk war in Zeiten von begrenzten Zeitungsauflagen (aufgrund von Papierknappheit) das dominierende Medium. Er sorgte nicht nur für Nachrichten, sondern auch für Unterhaltung, besonders mit den überwiegend spätabends ausgestrahlten Jazzprogrammen. Während viele Eltern gegen die „Dschungelmusik“ wetterten, suchten Jugendliche auch zu Tageszeiten nach guter Musik. Fündig wurden sie bei den US-amerikanischen Soldatensendern AFN (American Forces Network) – ein Kultsender.

Wirtschaftswunder BRD

Das Wirtschaftswunder in der BRD machte es möglich, auch Platten und -spieler zu erwerben. In der DDR und im gesamten Ostblock blieb man aufs Radio und die „Voice of America“ (VoA) angewiesen, die über Kurzwelle täglich Jazz-Programme ausstrahlte. Musik wurde zu einer Waffe im Kalten Krieg: Während die kommunistische Sowjetunion den Violinen-Virtuosen David Oistrach und das Bolschoi-Ballett in den Westen schickte, warben die kapitalistischen USA im Osten mit Gastspielen von Louis Armstrong und den Sendungen der „Stimme Amerikas“.

Als Oberschüler in Ost-Berlin lauschte ich nach der Erkennungsmelodie „Take The A-Train“ regelmäßig bis ein Uhr nachts. Das Programm war mal klar zu hören, um dann völlig zu verschwinden. Geschätzte 30 Millionen Menschen hinter dem Eisernen Vorhang hörten die Jazzsendungen der Stimme Amerikas. Unter ihnen waren der ungarische Gitarrist Attilla Zoller und der tschechische Bassist George Mraz – Musiker die im Westen reüssieren sollten. Die VoA-Jazzsendungen moderierte über vier Jahrzehnte Willis Connover, ein trinkfester Kettenraucher mit wunderbar sonorer Stimme. „Die russischen Fans klangen alle wie Willis Connover, wenn sie englisch sprachen“, erinnerte sich Dave Brubeck nach einem Gastspiel in Moskau.

„Connover war wirkungsvoller als eine Flotte von B-29-Bombern“, schrieb die New York Times 1996 in ihrem Nachruf auf den Radio-Mann. Auch anderswo profilierten sich Moderatoren. So kannten in der Bundesrepublik viele die Stimme vom „Jazz-Papst“ Joachim-Ernst Berendt (1922 – 2000). In der seit den Sechzigern Jazz-offenen DDR gewann Karlheinz Drechsel (1930 – 2020) eine ähnlich dominierende Position. Im Hamburger Raum ist der 2017 verstorbene Michael Naura (Foto s.u.) unvergessen. Der vom Pianisten zum Leiter der NDR Jazz-Redaktion aufgestiegene faszinierte mit seiner Stimme und seinen Texten – was manche eher zum Einschalten bewegte als die Musik.

Michael Naura • Foto: NDR

1958: Gründung der Jazz Workshops im NDR

Schlagartig bekannt in der Jazzwelt wurde der Sender im Jahr 1958 mit der Gründung der Jazz Workshops: Der NDR brachte Musiker*innen aus verschiedenen Ländern eine Woche lang in Hamburger Hotels unter. Nach täglichen Proben präsentierten die neu zusammengestellten Formationen zum Abschluss des Arbeitswoche ein öffentliches Konzert. Die Ausrichtung der Workshops änderte sich ab 1971, als anstelle von Einzelpersonen bestehende Bands eingeladen wurde – eine Tradition, die bis heute in den Konzert-Reihen im Rolf-Liebermann-Studio weiter lebt.

Und „Play Jazz“? Unabhängig auf welchem Sender und zu welcher Zeit – die werktägliche Sendung kann in der Mediathek nachgehört werden. Ich aber gehören zu jenen, die zur angekündigten Sendezeit das Radio anschalten.

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