Silk Jazz
Review: "Into The Unknown" vom Trio Silk Jazz
Rubrik
Feature
Veröffentlicht
10.03.25Autor:in
Heinrich Oehmsen

Das Trio Silk Jazz wagt sich auf seiner musikalischen Reise "Into The Unknown" in eine Region, in der östliche und westliche Einflüsse verschmelzen.
Das Trio Silk Jazz verbindet auf seinem Album "Into The Unknown" Ost und West
Die Sheng ist ein traditionelles, mehr als 3000 Jahre altes chinesisches Instrument, das hierzulande kaum bekannt ist. Es ist eine Mundorgel mit einer metallenen Windkammer und 17, 21 oder 37 Pfeifen aus Bambusrohr. Sie gilt als eines der am schwersten zu spielenden Instrumente, ihr Klang erinnert an ein Akkordeon, manchmal auch an ein Harmonium.
Einer der bekanntesten Sheng-Spieler ist Wu Wei, 1970 in Shanghai (wurde in Gaoyou, der ostchinesischen Provinz Jiangsu) geboren. Ihn traf Ingolf Burkhardt, Trompeter in der NDR Bigband, 2018 Backstage beim Morgenland-Festival in Osnabrück. "So eine Sheng hatte ich noch nie gesehen. Ich habe Wu Wei gebeten, mir etwas vorzuspielen und ich war sofort fasziniert von diesem Klangreichtum", erzählt er. Für den Trompeter ist schnell klar, dass er unbedingt gemeinsam mit Wu Wei musizieren will - was sich als nicht so kompliziert herausstellt, denn Wu Wei lebt seit 1995 in Berlin und hat in der Vergangenheit mit vielen renommierten Orchestern wie den Berliner Philharmonikern, dem Orchestre National de France, dem BBC Symphony Orchestra und auch dem NDR Sinfonieorchester gearbeitet.
Nun liegt endlich das Ergebnis der Zusammenarbeit von Burkhardt und Wu Wei auf einem Tonträger vor. Hinzugekommen ist noch Florian Weber. Der Pianist der NDR Bigband komplettiert das Trio, das sich Silk Jazz nennt. Die gemeinsame Arbeit ist jetzt unter dem Titel "Into The Unknown" erschienen. Ein passender Titel, denn die Sessions der drei im August 2022 sind tatsächlich eine Reise ins Unbekannte gewesen. Jeder Ton, jede Note ist improvisiert. "Wir haben stundenlang gespielt, bis mir die Lippen geblutet haben", beschreibt Burkhardt diesen Prozess. Etwa 40 Stücke nehmen Burkhardt, Weber und Wu Wei im August 2022 auf, zwölf davon finden sich auf "Into The Unknown". Genre-Grenzen gibt es bei dieser musikalischen Reise nicht.
Mit "Dance For The Lonely Moon" beginnt das Album romantisch. Weber eröffnet mit sanftem Anschlag, Wu Wei kommt mit ein paar ruhig gespielten Tönen hinzu, Burkhardt ergänzt den Sound mit einer gestopften Trompete. Doch sehr schnell ändern sich Klangfarben und Dynamik. "Fragrance Of Chimonanthus praecox" ist geprägt von schnellen Trompeten- und Klavierläufen plus elektronischer Sounds. Auch "Reflections Of The Stained Glass" ist eine expressive, laute und schrille Nummer. Erstaunlich ist bei vielen der improvisierten Stück der Klangreichtum der Sheng. "Dieses Instrument ist wie eine kleine Bigband", sagt der chinesische Virtuose Wu Wei über die fast fünf Kilo schwere Mundorgel.

Möglich ist diese Veröffentlichung auch durch die Initiative von Michael Dreyer geworden. Der künstlerische Leiter des Morgenland-Festivals in Osnabrück ist inzwischen der zuständige Manager der NDR Bigband. Gemeinsam mir Burkhardt trieb er das Projekt voran und hatte außerdem die Idee, Florian Weber zu dem Projekt dazu zu holen. "Weber ist ein riesiger Gewinn für dieses Projekt, weil er blitzschnell reagieren kann und ein kongenialer Partner ist", lobt Burkhardt seinen Kollegen. Erschienen ist das Album auf Dreyers eigenem Label, der Dreyer Gaido Musikproduktionen.
Das Trio Silk Jazz lässt darauf einen Klangkosmos aus freiem zeitgenössischem Jazz, traditionellen chinesischen Klängen, geerdetem Blues und Minimal Music mit Elementen von Ambient entstehen. Im August 2022 präsentierte sich das Trio zum Abschluss der Sessions bei einem Konzert in der kleinen Laeiszhalle. Es wurde ein aufregender Abend zwischen Innerlichkeit und Expressivität, immer überraschend und von höchster Intensität. Nun bleibt zu hoffen, dass es nach der Veröffentlichung des Albums weitere Liveauftritte von Silk Jazz geben wird.