Jazz-Moves-Hamburg-Klangmanufaktur-Gwilym-Simcock ©Sophie Wackerbauer

Auf Entdeckungstour – Sophie entdeckt Flügel, die flügge werden

Sophie Wackerbauer ist für JAZZ MOVES Hamburg auf Entdeckungstour. Von Orten, an denen man Jazz nicht sofort vermuten würde, schildert sie ihre ganz persönlichen Eindrücke und Erlebnisse. 


Gwilym Simcock weiht seinen über hundert Jahre alten, frisch restaurierten Flügel in der Werkstatt ein und alle dürfen dabei sein. Ich bin ganz aufgeregt. Die Fahrradlichter sind frisch aufgeladen und los geht’s. Die Strecke von Eimsbüttel nach Hammerbrook ist voller Sehenswürdigkeiten. Zwei denkmalgeschützte Bahnhöfe, die funkelnde Binnenalster, das Deutsche Schauspielhaus, der Steindamm. Doch auf dieses Highlight freue ich mich am meisten: Die zwei Kilometer, die ich auf dem Luxusabschnitt der Veloroute 8 entlangdüsen darf. In Hamburg darf man nämlich an manchen Orten bei rot fahren. Viel zu selten komme ich doch in diese Gegend. Heute Abend soll sich das ändern, denn ich entdecke einen neuen Lieblingsort: Die Klangmanufaktur.

Die Ruhe des Mittelkanals, in dem sich alte und neue Fabrikgebäude spiegeln. Die unaufgeregte Fassade des Gebäudes mit der Nummer 255, in dem alte Flügel ihre Reinkarnation erfahren sollen. Ich bin bereit für den Abend. „Herzlich Willkommen. Treten Sie einfach ein und machen Sie sich bemerkbar“ steht an der Tür.

Ich komme zehn Minuten vor Konzertbeginn an und bin doch zu spät. Der kleine Konzertsaal ist schon rappelvoll. Weitere Klavier-Begeisterte haben auf Klappstühlen in der Werkstatt-Wohnküche platzgenommen und Werkstatt-und-Geschäftsführer-Oliver Grenius huscht mit einem weiteren Stapel Stühle an mir vorbei. Selbst Schuld. Alles-was-nicht-am-Instrument-stattfindet-Pierre Hellermann hatte geschrieben, dass es voll wird. Ohne große Ankündigung sind knapp 90 Leute für Gwilym Simcock und Steinway B Flügel in Rio-Palisander in das romantische Gewerbegebiet gepilgert.

„It was built in 1900 and it’s still in a better shape than I am.“ Simcock scherzt, spricht sehr persönlich. Es wirkt ein bisschen so, als sitzt man mit Freunden zusammen. Und genau das ist auch das Ziel der Klangmanufaktur. Die Schwelle zur Werkstatt soll niedrig sein. Für die, die einfach mal den Klavier-Bauerinnen und –Bauern über die Schulter gucken möchten. Für Musikerinnen und Musiker, die hier an den Flügeln proben und komponieren können. Und heute Abend für alle, die dabei sein möchten, wenn ein fast 120 Jahre alter Steinway wieder zum Leben erweckt wird.

Ich nehme neben altmodischer Spüle, Schwamm und Lappen platz. Bevor Simcock die Tasten berührt ruft Oliver „Did you wash your hands?“ Die Situation ist einzigartig. Nicht nur der Pianist hat heute seinen Auftritt. Für das Team der Klangmanufaktur ist dies der Test, ob sich die monatelange Arbeit an dem Flügel-Greis bewährt hat. Die Antwort ist sofort klar, als die ersten Töne gespielt werden. Die Gäste horchen andächtig. Ich schließe die Augen. Welche Menschen haben diesen Flügel wohl schon gespielt…?

Nicht nur ich bin auf Entdeckungsreise. Simcock dankt uns, dass wir seine „Meerschweinchen“ sind: Er testet neben dem Flügel sein unveröffentlichtes neues Album. Die Entdeckungsreise mit der Klangmanufaktur hat für ihn jedoch Monate zuvor begonnen. Wie der für ihn aufgekaufte Flügel einmal klingen wird, konnte man nur erahnen. Die Teilhabe am Restaurationsprozess ist von der Werkstatt erwünscht, sagt Pierre: „Es geht eigentlich darum Prozesse zu öffnen und eben das nicht perfekte und beendete zu zeigen. Und genau so ist auch unsere Konzertreihe.“

Die Manufaktur möchte die Barrieren zwischen Bühne und Parkett auflösen. Neben den Einweihungskonzerten kann man weitere Klassik- und Jazzkonzerte besuchen. Jeden ersten Donnerstag im Monat laden sie zur kleinen Entdeckungsreihe KOHÄRENZEN ein. Programm, Künstler oder Künstlerin sind hier eine Überraschung.

„Wenn die Arbeit vollendet ist, heißt es loslassen.“

Simcock spielt eine Zugabe. Das bedeutet: die Verabschiedung rückt immer näher. Sicher jedoch mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Der Pianist posiert mit Oliver und Pierre noch einmal für ein Foto vor seinem neuen Schatz, der in seinem Wohnzimmer in Berlin sicher jedem Coffeetable-Buch die Schau stielt.

Mir fällt es schwer zu gehen. Ich winke Pierre aus dem riesigen Aufzug, mit dem sonst Flügel fahren, zum Abschied. Doch ich weiß: ich werde wiederkommen. Für die Veloroute 8. Für die Kanäle. Für den Holzgeruch beim Betreten der Werkstatt. Für Pierre und Oliver. Für die Musik. Und ich freue mich, wenn Ihr nächstes Mal dabei seid, wenn der nächste Flügel flügge wird.

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