„So lange die Ohren funktionieren, ist die Welt frisch“ – der Künstlerbetreuer Gerrit Glaner im Interview
Von Lang Lang bis Keith Jarrett: Gerrit Glaner, 61, ist als Künstlerbetreuer für Pianisten aus Jazz, Pop und vor allem Klassik zuständig. Seit 2002 leitet er die Abteilung „Concert and Artists“ beim Klavierbauer Steinway & Sons in Hamburg-Bahrenfeld. Im Interview spricht er über seinen Job, Chet Baker im Birdland und die Weisheit des Alters.
Gerrit Glaner, Sie haben Musikwissenschaft studiert und sich schon früh für Klassische Musik begeistert. Aber während Ihres Studiums in Hamburg sind Sie auch mit Jazz in Berührung gekommen, richtig?
Richtig, ich war Barkeeper im Club Birdland. Das gab bis zu 80 Mark die Nacht. Aber vor allem hat es Spaß gemacht. Die Jazzer sind ganz anders drauf als die Klassiker, mit denen kannst du vor dem Konzert ganz locker plaudern. Der Jazz interessierte mich damals hauptsächlich bis zum Swing, das ist alles noch innerhalb des Quintenzirkels. Im Bebop kommen die Blue Notes, da wird’s enger.
Aber Sie konnten sich dennoch dafür begeistern?
Aber ja! Ich habe Art Blakey gehört, als er fast 70 war, schon halb taub, aber sensationell zusammen mit seiner jungen Band. Oft kamen Mitglieder der NDR Bigband nach ihren Proben vorbei. Eines Abends brachten sie einen etwas abgerissenen Typen mit. Der hatte nicht einmal seine Trompete dabei und musste sich eine leihen. Im Club war es so still wie nie – es war Chet Baker. Keiner sonst hatte so einen so sanften, verhaltenen Sound. Ein halbes Jahr später war er tot. Auch heute noch treffe ich solche Musiker, deren stille Art so anziehend ist wie ein schwarzes Loch. Baker war krank und er war nie gut drauf, aber wenn er sein Horn ansetzte…
Was war Ihr erstes Instrument?
Die Melodica. Es ist ein Tasteninstrument, aber wie lange eine Phrase geht, bestimmt dein Atem. Fürs musikalische Gefühl war das nicht schlecht, auch wenn der Klang gewöhnungsbedürftig ist. Später hatte ich dann Klavierunterricht, aus dem ich im Alter von zehn Jahren rausflog. Ich habe wohl eine gewisse Begabung offenbart, aber auch meine Faulheit.
Was genau ist Ihre Aufgabe bei Steinway?
Ich kümmere mich um künstlerische Belange, darum, wie die Instrumente Pianisten, Konzerten und Festivals am besten dienen können. Oft ist man dabei wie ein Dolmetscher, der das Poetische und Irrationale, das zum Konzertwesen dazu gehört, in die Welt des Faktischen übersetzt. Rückmeldungen der Pianisten helfen uns, die Flügel noch besser zu machen, ihren Wünschen noch näher zu kommen.
Wie sieht der Job im Alltag aus?
Kürzlich erkundigte sich ein Pianist wegen eines anstehenden Konzerts nach einem bestimmten Flügel in Moskau. Das Instrument kannte ich vom letzten Tschaikowsky-Wettbewerb und konnte über seinen Charakter und die damalige Performance berichten. Über den aktuellen Zustand weiß ich freilich nichts, davon wird mir der Pianist nach dem Konzert berichten. Auch bei Flügeln lässt mit zunehmendem Alter die Kraft nach, aber die Weisheit nimmt zu. Da meine Kollegen und ich nicht überall sein können, ist das Feedback der Künstler hilfreich. Ich leite es dann an die Techniker weiter.
Nimmt auch bei Ihnen die Weisheit zu, Herr Glaner, wie bei den Flügeln?
So lange die Ohren funktionieren, ist die Welt stets frisch. Je älter du wirst, desto tiefer wirst du. Das ist bei Dirigenten ähnlich, jedes Konzert bringt dich weiter.
Wirklich jedes Konzert?
Nicht alles ist toll. Aber ich hasse es, in Konzertpausen zu gehen – vielleicht wird die zweite Hälfte besser. Wenn du nicht weißt, wie ein krachendes fortissimo klingt, kannst du nicht beurteilen, wie sich ein pianissimo anhören sollte. Du brauchst Gegenteile.
Stichwort Gegenteile: früher ging es fast nur um Klassik, heute gehören auch Pop-Künstler wie Billy Joel, Rufus Wainwright oder Joja Wendt zu den Steinway Artists…
Steinway ist heute offen in alle Richtungen, das war vor 20 Jahren noch nicht so sehr der Fall. Deshalb habe ich mich bewusst für einen jungen Assistenten entschieden. Ich werde nie das spüren, was er bei seiner Musik fühlt, da ist er kompetenter. Wir müssen seismographisch den Markt erspüren.