Der Sonntag ist angenehm sonnig und mild. Perfekt für einen Ausflug. Heute geht es dahin, wo die Menschen Gärten haben. Der Ohlsdorfer Friedhof ist damit nicht gemeint. Die Fahrt geht einmal quer über den Totenacker, vorbei an gigantischen Wellingsbütteler Villen bis man frische, kühle Landluft schnuppern kann. Wir besuchen heute eine Kate, die einmal am Rande „des Volksdorfs“ lag.
In der so genannten Ferk’schen Kate wohnten einst drei Landarbeiter-Familien, die wohl nicht mehr hatten als einen kleinen Landbesitz, wenig Vieh und selten mehr als ein Pferd. Die Familien nutzten das Erdgeschoss als Wohnraum, den Giebelraum vermutlich als Stroh- und Nahrungsmittellager. Sie hätten sich sicher niemals ausmalen können, dass in ihrem Dachstuhl mal Jazz gespielt wird. Jazz war im 19. Jahrhundert unter deutschen Landarbeiten noch nicht verbreitet.
Nach einer Stunde auf dem Rad erreiche ich endlich das kleine Fachwerkhaus, das heute eher im Zentrum des Dorfes liegt. Es ist schon dunkel geworden, das Licht, das durch die Holzfenster scheint, ist einladend. Das kleine Haus mit Reetdach wirkt heute deplatziert und deshalb umso anziehender. Angezogen gefühlt hat sich 1998 auch die KunstKaten-Betreiberin Bärbel Krämer, die hier zunächst einen Ort für Kunstausstellungen suchte. Heute herrscht in der Kate viel Trubel und das Angebot füllt locker ein ganzes Wochenende: Es wird Kunsthandwerk verkauft, Yoga oder Kurse zum Malen und Zeichnen angeboten, man trifft sich zum Katen- (nicht Kater-)frühstück, im neu eröffneten KatenCafé oder eben auf einem Jazzkonzert.
Ein Helfer-Team unterstützt Bärbel wie immer auch heute Abend ehrenamtlich und verkauft selbstbelegte Brötchen und Getränke. Der Dachboden ist gut gefüllt, Bärbel hat mir Plätze neben dem einen der drei Schornsteine reserviert (die fortschrittliche Rauchabzugalternative zu den sogenannten „Eulenlöchern“ gewöhnlicher Katen). Die älteren Herren und Damen, die den Raum eben noch mit aufgeweckten Gesprächen gefüllt haben, verstummen, als Bärbel den Künstler des KatenJazz No. 52 ansagt. Ab jetzt ist ihre Aufmerksamkeit zu 100% auf einen Blues-Gitarristen gerichtet.
Um die Kate vor dem Verfall zu schützen, gründete sich 2014 ein Verein, der das Häuschen kaufte und aufwendig nach alten Handwerksregeln restaurierte. Bonus: Eine neue Dachkonstruktion, die dem Boden eine tolle Akustik verleiht. Die machte dem Schlagzeuger Torsten Zwingenberger sicher gleich noch mehr Lust, mit seiner Band Berlin21 den KatenJazz No.1 mit zu veranstalten. Am Sonntag kommt er nach 52 erfolgreichen KatenJazz-Konzerten wieder. Volksdorf beweist: Jazzkonzerte müssen nicht immer im Stadtzentrum stattfinden. KatenJazz ist immer wieder ausverkauft und stößt auf großen Zuspruch beim Publikum wie bei Künstlerinnen und Künstlern. Im damaligen Strohlager steht heute sogar ein Flügel. Die Musikerinnen und Musiker sind ganz nah an den Gästen, erzählen Geschichten, unterhalten sich und diskutieren über die Musik. Wohnzimmer-Atmosphäre – wie man so schön sagt.
Aber zurück zum Konzert heute: Ob es eine gute Idee war, einen Biber in ein Fachwerkhaus einzuladen, bestätigt sich schnell. Biber Herrmann nutzt die intime Atmosphäre, plaudert und scherzt mit dem Publikum und spielt sich den Blues von der Seele. Seine Gitarre namens „Frau Caesar“ ist fast so alt wie das Haus und mindestens so alt wie die Musik, die er spielt. Der Ort ist gut geeignet um den Gästen durch Erzählungen und Erklärungen die Musik näher zu bringen. Die Bühne ist reichlich mit Notausgängen versorgt, die heute Abend aber nicht gebraucht werden. Das Publikum ist begeistert.
Nach Hause fahre ich mit der U1. Innerhalb einer halben Stunde bin ich zurück im Trubel des Hauptbahnhofs. Mit der Kate habe ich einen weiteren Ort für mich entdeckt, den ich auf jeden Fall wieder aufsuchen werde. Bärbel gab mir für Euch mit auf den Weg: „Kommt einfach vorbei und überzeugt Euch selbst.“ Genauso wie ich es getan hab.
Mehr Infos über die KunstKate und das Programm findet Ihr hier.